Grenze ziehen – oder was???
„Deine Grenzen abstecken und gegenüber anderen behaupten“ ist oft ein Slogan für gängige Angeboten von Selbstverteidigungskursen.
Aber: Wenn Dich wirklich jemand angreifen will, wird er „Grenzen“ gar nicht akzeptieren oder hat sie bereits überschritten..
Es gibt keine wirklich physische „Grenze“ im zwischenmenschlichen Bereich, die man behaupten könnte, es gibt nur eine „Distanz“, in der man sich mit seinem Gegenüber wohl und sicher fühlt oder eben nicht.
Diese Distanz wird enger, je vertrauter man mit seinem Gegenüber ist und man bereit ist, jemanden näher an sich heranzulassen. In aggressiven und gewalttätigen Auseinandersetzungen ist das Gefühl von Sicherheit und entspanntem Miteinander bereits gestört.
Mit „Grenzen ziehen“ und „Grenzen behaupten“ ist doch eher gemeint, dass ein potentieller Angreifer die Frau als gleichwertigen Gegenüber nicht akzeptiert, den Willen der Frau nicht respektiert, und ihr zu nahe kommt, obwohl sie das nicht möchte.
In einem Raum, zuhause oder in der Öffentlichkeit, in dem sich Angreifer und „Opfer“ sich begegnen könnten, existieren keine „Grenzen“, an denen jemand stehen bleiben könnte und/ oder dazu aufgefordert werden könnte, dort zu bleiben. Wenn also versucht wird, im Notfall eine „Grenze“ zu ziehen, ist es meist auch schon zu spät, diese wieder „herzustellen“. Darüber nachzudenken, ist im Ernstfall ein weiteres Hindernis, da das alles zusätzlich Zeit kostet. Ein solches Konzept hilft in der Selbstverteidigung gar nicht, wenn frau darauf angewiesen ist, spontan und angemessen zu reagieren…
Diese „Grenzen“ sind also psychologischer Art und daher real gar nicht zu verteidigen.
Sie sind subjektiv und daher gar nicht real greifbar: Menschen mit einem stabilen und hohen Selbstvertrauen können in beklemmenden Situationen wie Anmache, verbale Attacken, Beleidigungen, ungewolltes Antouchen besser umgehen, weil sie entspannter bleiben. Menschen, die unsicherer sind, empfinden dieselbe Situation wahrscheinlich völlig anders und reagieren schneller emotional und evtl. auch schneller unüberlegt.
Bei der „Überschreitung von Grenzen“, geht um respektvollen Umgang und das Einhalten erwachsener Verhaltensweisen, auf denen ein friedliches Zusammenleben funktioniert, Respekt und Achtung, gegenseitiges Vertrauen und Anstand und das Gefühl von persönlicher Sicherheit!
Ist dies nicht mehr vorhanden, dann werden „die psychologischen Grenzen“ überschritten.
„Grenzen ziehen“ und diese zu behaupten ist also gar nicht möglich und führt Teilnehmerinnen von Selbstverteidigungskursen in die Irre.
Für eine reale Selbstverteidigung ist das Konzept einer „Grenze“ also gar nicht sinnvoll und praktisch. Es geht in der Definition von einem physischen Übergriff konkret um Distanz und Nähe, wo ganz klar definiert werden kann, ab wann eine tatsächliche Bedrohung anfängt und wann nicht.
Das Kernziel unserer Selbstverteidigungskurse für Frauen sind daher nicht „Grenzen ziehen und diese zu verteidigen“, wie es oft propagiert wird.
Das Kernziel ist stattdessen das richtige Verständnis für die richtige Distanz zu entwickeln, die für die Selbstverteidigung praktisch genutzt werden kann. Diess hat ganz konkret mit der Anatomie des Menschen zu tun. Was beobachtet, beschrieben und konkret analysiert werden kann, ist real und damit kann eine praktische Selbstverteidigungsmethode erklärt und gelehrt werden. Und dann weißt Du auch, worauf es ankommt und wie Selbstverteidigung funktioniert!
Wo ist die natürliche „Grenze“?
Der Mensch hat eine natürliche „Wohlfühldistanz“, wenn wir in Gesellschaft mit Anderen sind. Diese beträgt etwas mehr als eine Armlänge – diese ist bei jedem Menschen gleich – so dass jemand nicht sofort unmittelbar angreifen kann und im Falle eines Übergriffes oder tätlichen Angriffes immer noch Zeit bliebe zu reagieren.
Ist diese natürliche Distanz unterschritten und kommt ein Angreifer zu nahe, ist der Notfall bereits eingetreten und die Möglichkeit spontan zu reagieren und sich selbst zu schützen ist weitaus geringer. Dies ist der wesentlichste Faktor für Streß, Angst und Panik, unter denen jegliche Handlungs- und Reaktionsfähigkeit eingeschränkt ist.
Unerwünschte körperliche Nähe oder unerwünschte Berührungen löst emotionalen Stress, Beklemmungen und Panik aus; Wenn in einer solchen Situation eine verbale oder handfeste Attacke stattfindet, ist der Aggressor in dem Bereich sofort überlegen, da Angst, Panik, die spontane Reaktion und das intuitive Reagieren blockiert. Ein „Opfer“ zieht sich zusammen, beugt die Arme, senkt den Blick, etc… und hat bereits verloren…!!!!
Dies machen sich Angreifer sehr oft zunutze, da die meisten Menschen nicht wissen, wie man sich in dieser engen Situation richtig verhält und die reflexartigen Reaktionsweisen des Körpers nicht für sich nutzen können. Sie haben es einfach nicht gelernt..
Die Distanz, die in diesem Fall den „Notfall“ beschreibt, ist, wenn jemand in der Lage ist, die Hand oder das Handgelenk zu berühren. Die Hand beschreibt die natürliche „Grenze“. Damit haben wir eine konkrete anatomische Definition von „GRENZE“, die eine „DISTANZ“ darstellt, die natürliche „Reichweite“. Alles was außerhalb davon ist, ist erstmal ungefährlich! An der Hand ist die natürliche Sicherheitsdistanz überschritten.
Mit dem ersten Kontakt an der Hand fängt praktische Selbstverteidigung an! Dies ist die Distanz, die jeder sehen und fühlen kann. Damit gibt es ein konkretes Werkzeug, mit dem man arbeiten kann und herausfinden kann, was und ab wann ganz konkret gegen Übergriffe und tätliche Angriffe getan werden muss.
Warum ist das so?
Weil der menschliche Körper bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die man genau erklären kann und die man sich für die Selbstverteidigung zunutze macht. Der Mensch hat immer gekämpft und die Evolution hat den menschlichen Körper für den Kampf gegeneinander optimiert.
Jede gute und funktionierende Selbstverteidigung hat mit dem bestmöglichen Ausnutzen der Fähigkeiten des menschlichen Körpers zu tun – es wäre ja unsinnig, einen krummen Nagel in die Wand zu schlagen, einen Benzinmotor mit Diesel zu tanken oder zu einem Duell mit Schwerten mit einem stumpfen Messer zu erscheinen…
Genau so verhält es sich in der Selbstverteidigung mit dem eigenen Körper. dies bedeutet, dass die beste Kampfkunst die ist, die den Körper bestmöglichst einsetzt, möglichst einfach ist und schnellstmögliche Reaktionen in der „Notfalldistanz“ ermöglicht.
Jede Technik, die nur auf Muskelkraft und äußere Geschwindigkeit – wie Boxen und Karate und ähnliche Methoden– ausgelegt ist, ist von Natur aus gegen stärkere Gegner limitiert. Eine solche „Technik“ erfolgreich einzusetzen ist daher höchstens Glück!
Effektive Selbstverteidigung
Effektive Selbstverteidigung beginnt mit dem richtigen Verständnis des eigenen Körpers, der unterschiedlichen Distanzen für den korrekten Einsatz von Händen, Füßen, Ellbogen, Handkanten und Fingerstichen.
Der eigene Körper ist das Werkzeug, dass konkret dafür „geschmiedet“ wird, sich zu schützen!
Der Geist muss ebenfalls geschult werden, um in einer Stresssituation angesichts von Aggression, Bedrohung und Angst noch richtig reagieren zu können!
Das Erlernen einer wehrhaften Verhaltensweise ist der Grundstein für ein besseres und stabileres Selbstbewusstsein.
Damit wird die „Opferrolle“ überwunden. Dies ist aber jenseits von „Technik lernen“, sondern funktioniert nur, wenn man die eigene „Innere Stärke“ kennt, koordinieren und richtig einsetzen kann.
Das ist das Ziel des Trainings! Dies fördert das Selbstbewusstsein und schult souveränes Verhalten, wo ansonsten Stress, Angst, Panik und alle anderen Arten von Emotionen die entscheidenden Faktoren sind.
Ziel ist es, gefährliche Situationen zu erkennen und Gefahrensituationen möglichst erfolgreich und unbeschadet zu beenden. „Gewaltfrei“ ist dabei nicht möglich, da der Aggressor uns in eine Situation zwingt, die mit normalen Mitteln der Kommunikation und non-verbalen Verhaltensweisen wie Ausweichen, Entfernen oft gar nicht mehr möglich ist.